Die Fußballzeitschrift „11 Freunde“ hat die wunderbar lesenswerte Rubrik „Auswärtsspiel“. Meinen Artikel zum Erstliga-Spiel auf den Seychellen hat es leider nicht in das Magazin geschafft, aber diese fußballerische Perle möchte ich nicht versanden lassen und so stelle ich sie an dieser Stelle zum Lesen ein:
Seychelles Division One: Saint Louis Suns United – Light Stars FC
Hauptinsel Mahe, 31. August 2013
Stade Linité, ca. 150 Zuschauer
Ein Land, in dem selbst der Wirtschaftsminister eingewechselt wird, scheint ein besonders fußballverrücktes zu sein.
Auf dem Festland in Afrika bekäme die Nationalmannschaft immer die Hucke voll, teilt mir mein Sitznachbar im Stade Linité mit, aber die Vereinsspiele auf den Inseln würden dafür mit umso größerer Leidenschaft ausgetragen. Ein fußballverrücktes Land sind die Seychellen, in den Straßen sieht man die Kinder mit ihren Messi- und Ronaldotrikots den Bällen hinterherflitzen, im Fernsehen laufen Premier-League und Bundesliga und die Spieler der Profiliga, die neben dem Fußballspielen einem Brotberuf nachgehen müssen, geniessen weitreichende Popularität auf den über unzähligen Inseln der Seychellen. Dabei gerät fast jedes Inselduell zu einem Derby (kein Wunder, wenn man mit Viktoria die kleinste Hauptstadt der Welt sein eigen nennt) und auch mein mitteilungsfreudiger, dauerkartenbesitzender Nachbar war mit zwei Spielern des Teams um acht Ecken verwandt. Dies erklärte mir auch, warum es auf der ganzen Insel keine Hausnummern gibt und die Post trotzdem zuverlässig ankommt: man kennt sich, wozu dann eine überflüssige Nummer einführen?
Die Fußballbegeisterung des kleinen Landes merkte man während des Spiels an den mehrstimmigen Gesängen, dem rhythmischen Dauerklatschen und Fußstampfen (die armen Plastiksitze) und der pausenlosen, reinrufenden Dauerkommentierung. Insgesamt herrschte eine familiäre und friedliche Stimmung (Jeder Auswechselspieler, der vom Platz und an Fans vorbeiging, wurde in ein amüsantes Gespräch mit der Haupttribüne verwickelt). Leider verlor sich jedoch die fanatischen Anfeuerungen der Haupttribüne im weiten Rund des doch in die Jahre gekommenen, tristen Betonbunkers. Die 10000 Plätze waren mit einem wackeren Häuflein von ca. 150 Zuschauern besetzt und das trotz eines Eintrittspreises von 5,5€: Das Spiel war das letzte, nur noch unbedeutende, Gruppenspiel, da Saint Louis sich bereits für die K.O.-Runde qualifiziert hatte, während die Lightstars ihr letztes Spiel der Saison bestritten. So machte sich eine zufriedene Stimmung über dem ganzen Stadion breit.
Ähnlich gelöst das Geschehen auf dem Rasen. Die Trainer experimentierten mit vielen Spielern von der Ersatzbank und es spielte sich ein munteres Treiben vor unseren Augen ab. Beide Teams in einer 4-4-2-Aufstellung ließen den nötigen Ernst vermissen und gaben Kunststückchen zum Besten, um den Gegner auf einem Seybrew-Bierdeckel austanzen zu können. Diese Kabinettstückchen endeten meist jedoch mit einem Fehlpass. St. Louis besaß etwas mehr Glück, so dass es mit einem 1:0 in die Kabinen ging. Zur zweiten Halbzeit setzte zustimmendes Gemurmel ein, der Wirtschaftsminister, ein bulliger Kerl Marke Rooney, wurde im defensiven Mittelfeld eingesetzt, der aber nur wenig Durchschlagkraft besaß. Mein Sitznachbar begann ab diesem Zeitpunkt von dieser jungen, aufstrebenden Mannschaft zu schwärmen und rechnete sich schon große Chancen auf die diesjährige Meisterschaft aus, die größten Konkurrenten waren ihm La Passe von der Nachbarinsel Praslin und St. Michel United aus derselben Stadt. Auch vergaß er zum wiederholten Male nicht, auf ihren seit 2001 als Fifa-Schiedsrichter pfeifenden Eddy Maillet hinzuweisen, der auf dem Festland in Afrika wahre Schiedsrichterwundertaten gepfiffen haben soll.
Auf dem Spielfeld entwickelte sich unterdessen ein zielstrebigeres Agieren auf die Tore zu. Die Heimmannschaft schoß aus einer schönen Aktion heraus das 2:0, woraufhin die Lightstars durch Unachtsamkeit in der Heim-Abwehr fünf Minuten später mit dem Anschlusstreffer nachzogen. Die Light Stars standen in dieser Phase durch gekonntes Passspiel dichter vor dem Ausgleich, Saint Louis setzte aber immer wieder Konter, die aber überhastet verhaspelt wurden. Zehn Minuten vor Schluss der Aufreger des Spiels: Nach einem Eckball und Verwirrung im Strafraum ob des Ballbesitzes flog besagtes Objekt einem Verteidiger an den Arm: Elfmeter! Kurz und schmerzlos ließ der Schütze mit einem humorlosen und trockenen Schuss ins linke obere Ecke dem Torwart keine Chance: 2:2.
Jetzt pfühlte sich Saint Louis an der Ehre gepackt und es kam zu wütenden Attacken Richtung Tor der Light Stars. Der Gegenteil trat ein: In der Nachspielzeit lief ein letzter Konter über drei Stationen und ein sehenswerter 25-Meter-Schuss markierte das 3:2 für die Light Stars. Der Schlusspfiff entließ die Zuschauer schiedlich-friedlich nach Hause. Manche schlachtbummelten prompt in die benachbarte Halle zum Damen-Basketball; die Seychellen, ein sportverrücktes Land auf der Weltkarte des Fußballs.
Bilder vom Spiel
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