Das Stuttgarter Mittelfeld

9 Okt

Zwei Wochen Länderspielpause. Auf der einen Seite: Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen als der trostlosen Szenerie, die der VfB im Moment bietet. Zum Beispiel könnte man für ne Weile auf Geschäftsreise in die USA gehen. Auf der anderen Seite: Zeit, sich einmal ungestört von tagesaktuellen Entwicklungen mit einer, wenn nicht der zentralen Problemzone des VfB zuzuwenden: dem Stuttgarter Mittelfeld.

Ich habe hier eine Spielsituation aus der Partie gegen Unirea Urziceni nachgezeichnet, die eines verdeutlichen soll: Wie wenige Anspielstationen bei Ballbesitz vorhanden sind, und wie schlecht nach hinten abgesichert wird.

unirea-stuttgart-skizze

Das Stuttgarter Mittelfeld (in rot) ist hier in einer Situation, in der Khedira (Nummer 1) gerade einen von Unirea aus der Abwehr gespielten Ball abfängt. Es reichen den Rumänen (hier in gelb) zwei defensive Spieler (nämlich Spieler 1 und 2), um Khedira noch genau eine Anspielstation zu lassen: Roberto Hilbert (4). Es gibt aber keinen Pass, der sofortigen Raumgewinn bringen würde, obwohl Platz durchaus vorhanden wäre  – die Raumaufteilung der Spieler in Gelb ist keineswegs optimal. Man müsste nur in den freien Raum kommen.

Unireas Spieler 3 kann letztlich den ballführenden Spieler angreifen und diesem, aufgrund dessen technischen Unzulänglichkeiten bei der Ballannahme, den Ball abnehmen.  Jetzt hat der VfB aber ein Problem, denn der zweite Sechser, Hitzlsperger (2), ist nicht nur nicht anspielbar. Er steht so, dass er Khedira defensiv nicht absichern kann. Letztendlich kommt der Ball zu Spieler 4, der völlig ungedeckt ist, nach vorne viel Platz hat und einen gefährlichen Konter einleiten kann.

Wohlgemerkt: Das hier ist eine Situation, in der der Gegner in der Vorwärtsbewegung ist, der VfB also nicht den Angriff aus der Abwehr heraus aufbauen muss. Der Gegner steht nicht dicht gestaffelt hinten drin. Tatsächlich reichen Unirea aber 3 Spieler, um den Gegenangriff zu verhindern.

Zu einem echten Problem wird das ganze immer dann, wenn der Gegner nur mit einer nominellen Spitze antritt und im Mittelfeld eine 5 gegen 4 Überzahl hat. Das war zum Beispiel in den Spielen gegen die Rangers, Köln und Unirea gut zu sehen. Ich zähle auch das Spiel gegen Bremen dazu, sind doch sowohl Hunt als auch Marin keine echten Spitzen, sondern kommen mehr aus dem Mittelfeld. In all diesen Spielen fehlten im Mittelfeld Anspielstationen, während man gleichzeitig nicht in der Lage ist, das Passspiel des Gegners zu unterbinden. Dass es nichts bringt, auf das im Moment beliebte 4-5-1/4-3-3 umzustellen, konnte man im Spiel gegen Hamburg sehen. Dem Team fehlte vorne die Durchschlagskraft.

Was könnte also Abhilfe schaffen?

Eine Möglichkeit wäre, in Spielen gegen solche Mannschaften wieder zur Raute zurückzukehren, um offensiv eine Anspielstation mehr zu haben und allein dadurch Druck auszuüben, dass ein Mann mehr gebraucht wird, um die Passwege des defensiven Mittelfeldspielers zuzustellen. Mit Elson, Simak, Bastürk und wohl auch Gebhart und Kuzmanovic haben wir außerdem Leute, die die Position des Zehners übernehmen können.

Eine weitere Möglichkeit kam mir beim Lesen dieses Artikels im Guardian über die Entwicklungen der Fußballtaktik in den Sinn:

But looking further ahead, there is also another player who has space, and that is one of the centre-backs. A single central striker is marked by one central defender, leaving the other one as a spare man. Of course that is useful defensively, but there is no reason why the extra player should only be useful defensively. After all, when 4–4–2 met 4–4–2 two central defenders picked up two centre-forwards and nobody worried about having additional cover (with the slight caveat that full-backs, without a wide player playing high against them, could drift inside to provide some cover). Why shouldn’t that extra defender stride forward into midfield as the likes of Franz Beckenbauer and Ruud Krol once did?

Da Unirea nur mit einer echten Spitze spielte, ist zumindest theoretisch einer der beiden Innenverteidiger ungebunden und könnte bei Ballbesitz eine offensivere Rolle – ähnlich dem früheren Libero – übernehmen. So könnte Tasci, der hierfür durchaus die Anlagen hat, das Mittelfeld bei Ballbesitz verstärken und dafür sorgen, dass auch bei Gegnern, die mit 5 Mittelfeldspielern agieren, genügend Anspielstationen vorhanden sind. Zur Absicherung würde die Dreierkette dann immer noch ausreichen. Auch die offensiven Außen des Gegners würden wahrscheinlich stärker als bisher defensiv gebunden werden, wodurch sie sich nicht mehr so leicht in die Offensive einschalten könnten. Das wiederum würde unsere anfälligen Außenverteidiger etwas entlasten. Van Gaals Bayern haben das in der ersten Halbzeit im Spiel gegen Hamurg vorgemacht, wenn auch noch etwas extremer, indem gleich komplett auf eine Dreierkette umgestellt wurde. Ich finde jedoch, dass man auf die Stärken des flachen 4-4-2 in der Defensive nicht verzichten muss und die beiden offensiven Außen und den Mittelstürmer weiterhin von einer Viererkette verteidigen lassen sollte.

Genau auf die von mir vorgeschlagene Art und Weise fiel das 1:0 gegen Unirea in der 5. Minute. Tasci blieb nach einer Standardsituation vorne und konnte als zusätzlicher Mann in die Lücke stoßen, die die beiden Stürmer gerissen hatten, indem sie Gegenspieler banden. Aber das war leider das einzige Mal in diesem Spiel, dass sich Tasci ernsthaft in das Spiel nach vorne einschaltete.

Egal ob mein Vorschlag letztlich praxistauglich ist oder nicht (und ich bin da sehr offen für Diskussionen), ändert sich dadurch jedoch nichts, dass der VfB taktisch wesentlich flexibler werden muss. Das strikte Festhalten am flachen 4-4-2 macht uns einerseits leicht ausrechenbar und beraubt uns andererseits der Möglichkeit, auf die Spielweise des Gegners wirklich zu reagieren. Dass man das 4-4-2 auf der anderen Seite nicht völlig verteufeln sollte, hat man im Spiel gegen Frankfurt, die im 4-4-2 mit Raute spielten, gesehen. In dieser Partie konnte die Mannschaft viel Druck, auch über Außen, erzeugen. Man hatte mehr Platz im Mittelfeld. Platz, der jedoch nicht da ist, wenn der Gegner im Mittelfeld in Überzahl ist. Platz, den Spieler wie Gebhart, Hilbert und auch Hleb aber dringend für ihr Spiel brauchen. Diesen Platz zu schaffen, muss im Moment das Hauptziel sein, denn die Laufbereitschaft in der Mannschaft scheint nicht groß genug zu sein, um auch bei Unterzahl im Mittelfeld das Spiel trotzdem über längere Zeit zu kontrollieren.

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2 Antworten zu “Das Stuttgarter Mittelfeld”

  1. nedfuller Oktober 9, 2009 um 5:37 pm #

    Tasci als Anspiestation für den ballführenden Khedira würde aber in der oben beschriebenen Situation zu einer Verschleppung des Angriffs führen.
    Obwohl das natürlich besser ist als den Ball zu verlieren.

    Ich habe nie Fußball auf einem Niveau gespielt, in der taktische Formationen eine Rolle spielen. Ist es denn so starr einzuhalten? Braucht es von außen den Impuls zu reagieren oder sind die Spieler nicht selber in der Lage zu erkennen, was gerade gefordert ist?

    Toller Beitrag, sehr schlüssig dargestellt.

  2. heinzkamke Oktober 12, 2009 um 12:11 pm #

    Grundsätzlich bin ich schon der Ansicht, dass das System mit den beiden eher defensiven Spielern in der Zentrale ganz gut zum aktuellen Kader des VfB passt, wenn auf den offensiven Außenpositionen Hleb und Gebhart Impulse nach vorne setzen und vor allem Tempo in die Sache bringen, unterstützt von den beiden Außenverteidigern. Zumal nach meiner EInschätzung sowohl Khedira als auch Hitzlsperger als auch Kuzmanovic grundsätzlich in der Lage sind, das Spiel aus der Mitte heraus durch entsprechendes Passspiel zu beschleunigen.

    Das Problem dabei ist offenkundig: Hleb verletzt, davor nicht fit, vielleicht auch außer Form, Gebhart mit zu vielen Ballverlusten und zu wenigen starken Offensivaktionen, Hilbert und zuletzt Walch konnten diese Impulse nicht setzen, die Außenverteidiger sind zum Teil schon mit ihren Defensivaufgaben überlastet, und die zentralen Spieler agieren auch im besten Fall wechselhaft.

    Möglicherweise hilft ein Versuch mit einem etwas anderen System (vielleicht vor allem psychologisch); im Grunde ist jedoch jedes System nur so gut, wie es umgesetzt wird (ich zahle gerne ins Brustringsche Phrasenschwein). Um zu beurteilen, ob die Positionen in der oben skizzierten Situation der reinen „Flache-Vier-Lehre“ entsprechen, fehlt mir allerdings das nötige Wissen (und die Kenntnis über die Entstehung der Situation).

    Bei einer Raute frage ich mich, wie die Zusammensetzung aussehen soll. Irgendwo las ich Khedira (rechts) – Kuzmanovic (def) – Hleb (off) – Hitzlsperger (li). Mir persönlich sind das zu viele „Sechser“ und zu wenig Dynamik auf den Außenpositionen im Mittelfeld. Womit wir wiederum bei meinem „Lieblings“thema, den Offensivaktionen der Außenverteidiger, wären…

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