Am Samstag um 17.18h stand ich in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena in der Cannstatter Kurve zwischen lauter sich in die Arme fallenden und jubelnden Menschen. Grundsätzlich wäre das ja eigentlich sehr wünschenswert gewesen und vor ein paar Wochen, als die Pläne für den Stadionbesuch reiften hätte ich mir das auch so in etwa gewünscht.
Blöderweise hat dann aus logistischen Gründen ein mich begleitender Freund die Tickets besorgt – seines Zeichens Dauerkarteninhaber beim 1. FC Köln. So stand ich dann am Samstag eben mittendrin im Block 40, einem Teil des temporären Gästefanblocks in der sich im Umbau befindlichen MBA. Und hatte die Fresse gestrichen voll, konnte meinen Frust aber nicht wirklich laut rausschreien, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, als ich dies schon vor Spielbeginn tat, als die aufmerksame Security meinen VfB-Schal entdeckte und einkassierte (immerhin: sehr freundlich und er wurde nicht weggeschmissen, sondern nach Spielschluss wieder abholbar).
Grundsätzlich habe ich als nicht absolut fanatischer Mensch ja wirklich kein Problem in einem fremden Fanblock zu stehen und gerade bei den Kölnern macht das so an sich schon sehr viel Spaß, da es stimmungstechnisch nun mal grundsätzlich klasse ist. Aber wenn es sich beim Gegner um den eigenen Verein handelt, dann muss man schon seeehr viel Selbstdisziplin an den Tag legen. Zu viel für meinen Geschmack, so dass ich dieses Experiment mit Sicherheit nicht noch mal wiederholen werde. Auch wenn meine Gefühlslage mit hoher Wahrscheinlicheit jetzt etwas anders aussähe, hätten wir nicht so unfassbar schlecht gespielt und uns von den bisher sieglosen Kölnern blamieren lassen.
Andererseits hätte man damit natürlich rechnen können. Schließlich sind wir im eigenen Stadion schon seit 1996 gegen den FC im eigenen Stadion sieglos und auch in meinem Beisein sind die Duelle beider Vereine immer zu meinem Missfallen ausgegangen. Von daher hätte ich es wohl besser wissen sollen…
Aber kommen wir, auch wenn es schmerzhaft wird, mal zum Spiel selbst, schließlich kann und darf die Historie nicht eine solche Nicht-Leistung wie an eben diesem Samstag gegen Köln rechtfertigen. Sonst könnte man ja gleich feststellen, dass man vor rund einem Jahr an gleicher Stelle noch drei Tore gegen den FC kassiert hatte…
Eine Parallele zum letzten Jahr war allerdings, dass man erneut die Domstädter zu den Toren förmlich einlud. Waren es damals noch Lehmann, Hitzlsperger und Hilbert, die den Kölnern die Bälle vorlegten, so waren es diesmal eine Kooperation des Grauens in der Stuttgarter Hintermannschaft und -erneut- Lehmann, die sich innig um Aufbauarbeit an geschundenen kölschen Seelen bemühten.
Während Lehmanns Ausflug kurz vor Schluss zwar ärgerlich und auch ein bisschen peinlich war, so war dieses Gegentor irgendwie noch zu verzeihen. War ja zu dem Zeitpunkt dann auch schon irgendwie egal. Wirklich gruselig und grauhaarfördernd war allerdings das Verhalten vor dem ersten Gegentor. Erst verpeilt Tasci das richtige Timing für den Rückpass zu Lehmann (der seinem Innenverteidiger aber auch hätte entgegen kommen können), um die Situation spielerisch zu lösen (was nicht grundsätzlich negativ ist – nur manchmal ist der einfachere, rustikale Weg halt der bessere), bringt dabei durch seinen halbguten Pass Christian Träsch in die Bredouille, der sich seinerseits dann an der Aussenlinie vom wesentlich wacheren Ehret abkochen lässt. Nach dessen passgenauer Flanke auf den durch die restlichen schwäbischen Verteidiger alleingelassenen Freis sieht Lehmann dann zwar nicht glücklich aus, aber ihm in der Situation einen Vorwurf zu machen, halte ich für ungerechtfertigt. Natürlich im Gegensatz zur Entstehung des zweiten Tors, denn wenn er schon derart weit aus dem Kasten rauskommt, dann muss er, salopp formuliert, entweder Ball oder Gegner wegwichsen. Sich aber so naiv zu verhalten, kann nur mit purem Frust auf Seiten des beinahe 60jährigen Torhüters erklärt werden.
Beide Situationen allerdings können immer mal wieder vorkommen, auch wenn sie es nicht sollten. Zumal man außer in diesen Momenten, nur noch in zwei weiteren Situationen defensiv schlecht aussah, darüber hinaus aber insgesamt ganz gut stand. Vor allem Artur Boka muss ich hier mal lobend hervorheben, nachdem ich auf unsere Linksverteidiger ja gerne immer eindresche. Aber auch sein Pendant auf Rechts, Christian Träsch, hat mir erneut wieder mal ziemlich gut gefallen.
Und damit sind wir dann im Grunde auch schon am Ende der positiven Erwähnungen auf Seiten des Stuttgarter Personals. Denn vor allem was offensiv passiert ist, war erschreckend harm- und kopflos. Zwar hatte man verhältnismäßig viel Ballbesitz, aber gegen die dicht gestaffelte Kölner Defensive fand man zu keinem Zeitpunkt ein wirkliches Rezept. Der Ball wurde da vorwiegend ratlos hin und her geschoben und wenn dann Gebhart (schon die 4. Gelbe Karte im sechsten Spiel!) oder Hilbert mal frei auf Außen bedient wurden, dann fand im Grunde keine einzige Flanke einen Spieler im weißen Trikot. Und das muss halt sein, wenn man gegen so massiv stehende Kölner mit Kurzpassspiel nicht durchkommt. Oder wenn auch die Standards keinerlei Gefahr ausstrahlen.
Es fehlt, gerade ohne einen Hleb, einfach das Gran Kreativität und Genialität, das man haben muss, um eine 9 Mann-Defensive zu knacken. Aber es fehlt vor allem, und das schon seit Saisonbeginn, die Verzahnung von Mittelfeld und Sturm. Da fehlt es nach wie vor an der Harmonie, um ein flüssiges Offensivspiel aufziehen zu können, so dass man immer wieder erstaunt feststellen muss, wie sehr die beiden Stürmer nach hinten arbeiten, um sich die Bälle selbst nach vorne zu holen. Natürlich ist es beeindruckend, wenn sich ein Cacau und ein Pogrebnyak immer wieder bis in die eigene Hälfte zurückfallen lassen, um dort um den Ball zu kämpfen, aber eigentlich kann und darf es nicht sein, dass dies der Dauerzustand ist, schließlich sollen diese beiden vorne sein, um Tore zu erzielen. Nur fehlt es da eben an der Unterstützung aus dem Mittelfeld, in deren Zentrale dieses Mal Kapitän Hitzlsperger eine Denkpause bekam, nach zuletzt schwachen Leistungen.
Das Duo Kuzmanovic und Khedira legte allerdings auch keine Glanzleistung an den Tag. Kuzi war dabei ein ganz brauchbarer Ersatz für Hitz, spielte er doch die weitestgehend selben Querpässe wie der deutsche Nationalspieler – nur bringt dieser eben in jedem Spiel, selbst bei schwacher Gesamtleistung, immer wieder zwei bis drei Pässe gefährlich in die Spitze und an den Mann. Von unserem serbischen Neueinkauf habe ich das am Samstag leider nicht gesehen (wenngleich sich das noch ändern kann und hoffentlich auch wird). Leider hat auch Khedira nicht die früher so oft gesehene Präsenz auf den Platz gebracht, sondern blieb ebenfalls konsternierend unauffällig.
Ohnehin war das sicherlich eines der Hauptprobleme und der Aspekt, der mir, auch für die Zukunft, die größten Sorgen bereitete: Das ganze Spiel der Stuttgarter blieb irgendwie unauffällig, leblos und vor allem leidenschaftslos. Auch wenn die Intensität teilweise in Halbzeit 2 etwas zunahm und man rund eine Viertelstunde vor Schluss mal etwas Druck auf die Kölner ausübte, so waren die Stuttgarter Spieler irgendwie teilnahmslos. Kaum ein Aufbäumen war zu spüren, niemand setzte mal ein Zeichen. Es wurde so gut wie überhaupt nicht miteinander gesprochen, niemand versuchte einmal seine Mitspieler aufzurütteln.
Die Frage ist nun eben, wer dieser Spieler sein kann und die Mannschaft aufrüttelt und führt. Und ob Babbel die Mannschaft zusammenbringen und ihr das Leben einhauchen kann, das nötig ist, um den schlechten Saisonstart nicht zu einer wirklich gefährlichen Krise werden zu lassen. Diese Fragen zu beantworten gelingt mir leider nicht, aber zumindest liegt die durchaus gute Möglichkeit vor dem VfB das Umfeld erst einmal zu beruhigen:
Am Mittwoch steht das Pokalspiel in Lübeck an, wo man gewinnen muss und auch eigentlich relativ problemlos können müßte. Danach gehts am Samstag gegen die zwar momentan gut aufgelegten Frankfurter, die man aber eigentlich von der Qualität her schlagen können sollte, ebenso wie den rumänischen Meister aus Urziceni beim CL-Auswärtsspiel am darauffolgenden Dienstag. Das sind drei Siege, die ebenso machbar wie notwendig erscheinen und wirklich extrem wichtig für einen halbwegs ruhigen weiteren Saisonverlauf wären. Gerade in den beiden Pokalwettbewerben sind sie ein Muss, um eine ansonsten unvermeidlich erscheinen Trainerdiskussion zu vermeiden (die ich wirklich nicht haben will), aber auch ein Bundesligasieg wäre mal wieder sehr angebracht, um dort nicht schon jetzt völlig den Anschluss nach vorne zu verlieren. Man kann sich schließlich nicht jedesmal auf eine gute Rückrunde verlassen – zumal Platz 15 nun wirklich grausam ist, auch schon zum jetzigen Zeitpunkt der Saison.
Noch bin ich halbwegs optimistisch für die Zukunft des VfB in dieser Saison. Rational begründen kann ich meinen Optimismus allerdings nicht, sondern es ist eher ein irgendwie diffuses Vertrauen in eine für mich nach wie vor bestehende sportliche Qualität des Kaders. Ich hoffe, dieses Vertrauen wird in Bälde bestätigt. Zumindest ist die Abkehr vom bedingungslosen Prinzip der Rotation schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Denn es fehlt eben an einer Eingespieltheit, vor allem im Offensivbereich.
Zu guter Letzt: Noch ein Dank an den „Intellektuellenblogger“ heinzkamke für das gemeinsame Suhlen im Selbstmitleid nach dem Spiel…
Wenn ich mir das alles so durchlese, dann tut es mir einmal mehr leid, dass ich es nicht geschafft habe uns Karten für eine neutrale Tribüne zu kaufen. Zumal ich mit einem etwas anderen Spielverlauf gerechnet habe und so den spöttischen Jubel hätte vermeiden können. Ich werde das an entsprechender Stelle wiedergutmachen, hoffe ich…
Zum sachlichen Teil kann ich nur einmal mehr sagen, dass ich diese Analysen gerne lese, auch die Spitzen darin erfreuen mich jedes Mal. Allerdings stimme ich in einem Punkt ganz und gar nicht mit Dir überein: die Leistung des Jens L. Lassen wir die Gründe mal außen vor, die zu diesem mehrmaligen Fehlverhalten geführt haben, die letztendlich spielentscheidend waren; Wenn ich meinen Posten so aus den Augen lasse und versuche mich in mit etwas zu beschäftigen, was weder meine Aufgabe noch sinnvoll ist, dann brauche ich mich auch irgendwann nicht zu wundern, dass mir keiner eine goldene Uhr schenkt, wenn ich (nach vielen guten Jahren) endlich das Feld verlasse und meine Pension genieße. Oder kurz: eine mehr als unnötige und schwachsinnige Aktion einer großen Persönlichkeit, die vielleicht besser schon die Beine hochlegte.
In diesem Sinne,
Grüße aus dem sonnigen Frankfurt.
Spitzen? Welche Spitzen?
Mach Dir keinen Kopp bezüglich der Tickets. War definitiv mal einen Versuch wert und, wie geschrieben, bei einem anderen Ergebnis würde ich es vielleicht alles etwas anders sehen. =)
Was Deine Einschätzung von Lehmanns Aktion angeht, so bin ich da weiterhin anderer Meinung. Das war zwar völlig unnötig und ein großer Fehler, aber letztlich nicht spielentscheidend. Auch wenn der VfB etwas mehr nach vorne machte in Richtung Schlusspfiff, so war man doch nicht so drückend überlegen, dass ein Ausgleich unumgänglich gewesen wäre. Von daher war Sanous Tor in der 89. Minute dann auch nicht mehr so relevant.
Der Grund für das Versagen lag, wie oben erläutert, in ganz anderen Mannschaftsteilen.
Und dass Lehmann niemals einen Sympathiepreis gewinnen wird, ist ohnehin klar. Aber da war ja mal was mit Torhütern und Rechtsaussen…
Oh, mein Kommentar neulich ging verloren – keine Sorge, lag mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht am Gestgeber, sondern an meiner wackligen Verbindunng im Zug.
Naja, im Wesentlichen stand drin, dass ich Dich dafür bewundere, Dich nochmal so intensiv mit dem Spiel befasst zu haben – und dass genau diese Analyse grottiger Spiele fast ein Grund für etwas Mitleid mit Trainern im professionellen Fußball sein könnte.
Bei Lehman geht es mir wie Dir: ich stehe sicher nicht im Verdacht, ihn sonderlich zu mögen, aber das 2:0 war völlig egal.